Sven Rissmann: „Da sein, wo die Menschen bürgerlich sind“
Die CDU Mitte sortiert sich im Jahr der Bundestagswahl neu. Der Vorsitzende Rissmann will die Mitglieder aktivieren und neue Wählerschichten erschließen.
Die CDU Mitte hat bei den Wahlen ziemlich schlecht abgeschnitten. Woran lag das und was haben Sie nun vor?
Was im Guten wie im Schlechten passiert ist, ist das Produkt einer Gemeinschaftsarbeit von über zehn Jahren, an der viele beteiligt waren – auch ich. Meine Aufgabe ist es jetzt, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, die veränderten Bedingungen, unter denen wir Politik machen, zur Kenntnis zu nehmen, unsere Gemeinschaft zusammenzuhalten und ein gutes Angebot an die Wähler in Mitte zu machen, damit wir zu besseren Wahlergebnissen kommen.
Die CDU hat den Anspruch, eine Volkspartei zu sein, und kann daher mit einem Ergebnis von unter zwanzig Prozent nicht zufrieden sein. Das gilt auch unter den schwierigen Bedingungen in Mitte, einem Bezirk, der mit anderen Großstädten vergleichbar ist, wo die CDU generell schlechter abschneidet als im ländlichen Raum. Aber ich denke, dass die CDU trotzdem den Anspruch haben muss, hier auf Augenhöhe mit ihren Konkurrenten um die Wählergunst zu sein.
Was sind die besonderen Bedingungen in unserem Bezirk?
In Berlin-Mitte leben weit über 360.000 Menschen. Wir haben eine unglaubliche Heterogenität in der Altersstruktur, den sozialen Faktoren, den Eigentumsverhältnissen sowie beim Bildungshintergrund. Wir haben den Hackeschen Markt, wo man die höchsten Preise für Wohneigentum bezahlen muss, gleichzeitig gibt es Gegenden, die geprägt sind von Armut – und das manchmal nur wenige U-Bahnstationen voneinander entfernt. Das alles unter einen Hut zu bekommen, ist sehr schwierig.
Außerdem haben wir hier im Bezirk eine Fluktuation in der Bevölkerung, die unglaublich ist. Durchschnittlich verbleibt jemand in Mitte nur für wenige Jahre und zieht dann weiter, weil das Studium beendet ist oder er im Rahmen seiner Arbeit in einem Ministerium, das hier im Bezirk liegt, für eine kurze Zeit vorbeigekommen ist. Daher ist es schwer, die Menschen kontinuierlich anzusprechen.
Für die Volkspartei CDU sollte die Heterogenität der Bevölkerung kein Problem sein. Die CDU hat doch den Anspruch, eine Politik zu machen, die sowohl für den Alg-2-Bezieher als auch den Immobilienbesitzer unterstützenswert ist.
Absolut richtig. Es ist der Anspruch der CDU, Partei für jedermann zu sein, für die Armen und die Reichen, die Männer und die Frauen, die Jungen und die Alten. Hier die richtige Ansprache zu finden, ist allerdings schwieriger als in einer Klientelpartei wie der FDP oder auch den Grünen, die eine Partei für die Besserverdienenden und allein die höheren Bildungsschichten ist. Die Widersprüche, die eine so heterogene Gesellschaft aufwirft, dann u. a. mit dem Gedanken der sozialen Marktwirtschaft zusammenzuführen, ist eben anspruchsvoll.
Interessant bei den Wahlergebnissen ist ja auch, dass alle relativ dicht beieinanderliegen. Welche Erklärung gibt es dafür?
Ich glaube, das ist nichts Besonderes. Was in Berlin-Mitte stattfindet, ist lediglich deutlicher als in anderen Großstädten in Deutschland. Hier werden gesellschaftliche Entwicklungen verstärkt, manchmal finden die auch früher statt. Dass die Parteien im Wahlergebnis dicht beieinanderliegen, ist in Großstädten nichts Besonderes mehr, sondern ein Trend, der seit vielen Jahren zu beobachten ist.
Die Partei muss sich den neuen oder alten Herausforderungen stellen und auf sie reagieren. Welche Änderungen kommen auf sie zu?
Hier gibt es keine einfache Antwort. Am Beginn steht die Erkenntnis, dass Politik durch Personen transportiert wird. Das heißt, unser Personalangebot muss authentisch und glaubwürdig sein, es muss bei den aktiven Mitgliedern und ihren Kandidatenlisten darstellen, was Volkspartei ist: Junge und Alte, Männer und Frauen, Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund, Menschen mit Universitätsabschluss genauso wie Handwerker. Mit dem neuen Kreisvorstand haben wir einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht. Noch kein Kreisvorstand der CDU Mitte hatte so viele Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in seinen Reihen. Wir werden darüber hinaus verstärkt Menschen mit islamischem Hintergrund ansprechen.
Insgesamt muss die CDU Mitte da sein, wo die Menschen bürgerlich sind – was gar nicht so leicht zu beschreiben ist. Ich denke, dass bürgerlich z.B. ist, wenn jemand sich mit seinem Nachbarn zusammentut, weil er ein konkretes Anliegen hat und deshalb eine Bürgerinitiative gründet. Das sind Menschen, die sich in ihrer Freizeit engagieren, um in ihrem Umfeld etwas zu verbessern, zum Beispiel in Zusammenhang mit einer Kita, wenn es um eine Begrünung geht, einen Fahrradweg oder um die Sicherheit im öffentlichen Raum. Wir müssen zu diesen Menschen hingehen, ihre Fragen aufnehmen und ihnen zeigen, dass wir ihr politischer Arm sein können und wollen.
Die CDU Mitte muss außerdem verstärkt über die neuen Kommunikationswege an die Öffentlichkeit herantreten, schließlich informieren sich die Menschen nicht mehr nur über Flugblätter oder über die „Abendschau“ des RBB. Da die Sozialen Medien immer wichtiger werden, müssen auch wir hier zukünftig stärker präsent sein.
Welche Rolle spielen hier die einzelnen Mitglieder?
Auch ein 16-köpfiger Kreisvorstand kann das nicht allein schaffen. Doch die CDU Mitte hat einen großen Schatz: Das sind 1.450 Mitglieder – mit klar steigender Tendenz. Viele können aufgrund ihrer beruflichen oder privaten Situation nicht so stark mitmachen, wie sie das gerne möchten, aber wenn es uns gelingt, die anderen zu aktivieren, Multiplikator zu sein, werden wir das Ziel auch erreichen können. Übrigens muss man gar nicht Mitglied sein, um bei der CDU mitzumachen.
Wie ist nun die Lage vor der Bundestagswahl?
Die vergangenen Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW haben gezeigt, dass Wahlen immer kurzfristiger entschieden werden. Daher ist die CDU gut beraten, gerade in den letzten Wochen sehr präsent zu sein und einen guten Wahlkampf zu führen. Über die großen Linien werden allerdings nicht wir entscheiden, sondern die Bundespartei. Deshalb sind wir - im Guten wie im Schlechten - als Wahlkämpfer vor Ort im Wahlkampf von der Bundeskanzlerin und der Bundespartei abhängig. Unsere Aufgabe ist es, beiden zur Seite zu stehen und ein überzeugendes Angebot für diesen Wahlkreis zu formulieren. Die CDU Mitte hat sich daher entschieden, mit Frank Henkel einen Kandidaten aufzustellen, der über reichhaltige politische und administrative Erfahrung verfügt, vor allem in den Bereichen, die auch für Mitte wichtig sind, also der Inneren Sicherheit und der deutsch-deutschen Teilungsgeschichte.
Wird es neue Methoden der Mitgliederbeteiligung geben?
Jedes Mitglied der CDU Mitte kann überall mitmischen. Das setzt allerdings voraus, dass es informiert wird, und hier habe ich das Gefühl, dass wir noch besser werden können. Die Mitglieder müssen schneller erfahren, was im Kreisverband angeboten wird, und dass sich der Kreisvorstand und alle gewählten Mandatsträger über alle Ideen freuen, die an sie herangetragen werden, auch wenn man sie nicht umsetzen kann. Ich will den Schatz der 1.450 Mitglieder durch neue Formen der Ideen- und Lösungsfindung heben, indem z.B. nach der BT-Wahl im Kreisverband ein „World-Café“ stattfinden soll. Dort sollen Themen besprochen werden, die der Kreisvorstand noch entwickeln wird. Es steht schon jetzt fest, dass das inhaltliche wie strukturelle Themen sind, zum Beispiel wie man Parteiarbeit organisieren sollte. So wollen wir auf Ansätze kommen, auf die noch keiner gekommen ist.
Sie sind noch frisch im Amt des Kreisvorsitzenden. Aber schon jetzt interessiert mich, an welchen Kriterien wir Ihre Arbeit einmal werden messen können?
Es gibt ein objektives Kriterium für Erfolg, das immer auch ungerecht ist: das Wahlergebnis. Ich bin mitverantwortlich für das Ergebnis, das die CDU spätestens in vier Jahren bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und der BVV einfährt. Auch da wird der Trend an anderer Stelle gesetzt und kann insofern von mir nur eingeschränkt beeinflusst werden. Dennoch werde ich sicher daran gemessen werden – so ist das politische Geschäft. Aber meine Aufgabe ist es, Arbeitsfähigkeit herzustellen, Gemeinschaft zu schaffen und die angedeuteten neuen Wege zu gehen. Ich habe außerdem ein zwar sehr subjektives Kriterium, das mir aber umso wichtiger ist: Wenn in vier Jahren ein Großteil der Mitglieder sagt „Der hat seine Pflicht getan und einen guten Job gemacht“, dann bin ich zufrieden.